Norderney 2022 - Wir bringen Windstrom an Land (Teil 1)
Norderney BorWin4 & DolWin4, jeweils HDD 5 und HDD 6
Mit diesem Artikel stellen wir die Baumaßnahme „Anlandungsbauwerke BorWin4 und DolWin4“ vor. Die Ludwig Freytag GmbH & Co. KG hat diese Maßnahme diesen Sommer durchgeführt. Dabei werden wir im Rahmen der Maßnahmenvorstellung der nachstehenden Gliederung folgen:
1. Ausschreibung
2. Arbeitsvorbereitung & Vorstellung des Ausführungskonzeptes
3. Aufbau
4. Ausführung
5. Abbau
6. Entsorgung/Abfuhr
Ausschreibung:
Die Amprion GmbH, mit Sitz in Dortmund ist ein deutscher Übertragungsnetzbetreiber. Das Unternehmen betreibt das mit knapp 11.000 km Stromkreislänge zweitgrößte Höchstspannungs-Stromnetz in Deutschland. Vor dem Hintergrund des Ausbaus der Offshore-Windenergie in der deutschen Bucht realisiert Amprion mit den Projekten DolWin4 und BorWin4 seit 2019 erstmalig Offshore-Netzanbindungssysteme zur Anbindung von Offshore-Windparks an das Übertragungsnetz. Dabei wird der bereits von der TenneT genutzte Trassenkorridor über Norderney und durch das Wattenmeer genutzt, um die Offshore-Windenergie an das Festland zu bringen und schließlich an der Umspannstation Hanekenfähr bei Lingen einzuspeisen.
Die Kabelsysteme von DolWin4 und BorWin4 bestehen aus je zwei Energiekabel und einem Lichtwellenleiterkabel. Für jedes Energiekabel ist eine Kabelschutzrohranlage vorgesehen, sodass zur geschlossenen Querung der Dünen und Deiche auf Norderney und bei Hilgenriedersiel in Summe über 3 Jahre insgesamt 12 Kabelschutzrohranlagen zu installieren sind. Dabei wird von Norden nach Süden gearbeitet, auch um laufenden Flachwasser-kabelinstallationsarbeiten anderer Übertragungsnetzbetreiber im Rückseitenwatt aus dem Weg zu gehen.
Aus den planerischen Vorgaben und einer engen Absprache mit Eigentümern, Pächtern und Fachbehörden ging eine Ausschreibung hervor, die im April 2021 auf den Markt kam und in der Wahrnehmung des im September 2021 beauftragten Generalunternehmens, der Ludwig Freytag GmbH & Co. KG, dann glücklicherweise auch zur Beauftragung führte.
Der zur Ausführung kommende Auftrag sieht vor, dass die Ludwig Freytag GmbH & Co.KG (LF), vertreten durch die drei nachstehenden Tochterunternehmen, die Kabelschutzrohr-bauwerke zur Aufnahme der zukünftigen Energiekabelsysteme unter den Dünen und Deichen im Sinne eines Turnkey-Vertrags ausführt:
• TRNW (Tief- und Rohrleitungsbau Nordwest = Erd- und Rohrbau)
• LMR (Land and Marine Drilling = Horizontalspülbohrungen = HDD)
• TAGU (Tiefbau-GmbH Unterweser = Wasserbau)
Von elementarer Bedeutung ist dabei die vollumfängliche Einhaltung umfangreicher Auflagen aus dem Küsten-, Umwelt- und Naturschutz sowie die Beachtung von Belangen der lokalen Anlieger. Der Umfang dieser Restriktionen ist erheblich und zeigt deutlichen Einfluss auf die Ausführung der Arbeiten.
Bestandteil der Arbeiten war für den hier dargestellten ersten Bauabschnitt „Norderney-Nord“ zur Querung der Dünen auf Norderney, dass, vorbehaltlich einer zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe ausstehenden Genehmigung, das Baufeld im Januar 2022 vorbereitet werden und die eigentliche Ausführung der Arbeiten im Zeitraum vom 15.07.2022 bis zum 15.09.2022 stattfinden sollte. Dieses Zeitfenster im Sommer ist unter der Prämisse, dass Erdbau-, Rohrbau-, Wasserbau- und HDD-Arbeiten stattfinden und koordiniert werden müssen, ausgesprochen kurz. Vor diesem Hintergrund muss eine komplexe Gemengelage aus Auflagen und einer anspruchsvollen Logistik bewältigt werden. Zusammengefasst dargestellt: „einfach ist anders“!
Arbeitsvorbereitung:
Mit Eingang der Auftragsvergabe wurde umgehend ein Projektteam aus den verschiedenen Fachbereichen der Fa. LF aktiviert. In enger Zusammenarbeit mit Vertretern der Amprion wurde zunächst die Oberflächenvorbereitung für den Januar 2022 vorbereitet.
Die Oberflächenvorbereitung, bestehend aus einer Rodung von Büschen, der Entfernung von Wurzelwerk, dem Abziehen und Zwischenlagern von Oberböden, dem Umsetzen einer Mutterbodenmiete sowie dem Aufschottern eines Teilbereichs des zukünftigen Bohrplatzes funktionierte gut.
Der offene und ehrliche Umgang aller an dieser Teilmaßnahme Beteiligten trug erheblich zum Erfolg bei.
Diesem ersten Arbeitsschritt folgte die Erstellung des Ausführungskonzeptes für die Erdbau-, Rohrbau-, Wasserbau- und HDD-Arbeiten. Umfangreiche Unterlagen wurden erstellt, ausgetauscht, überprüft, revidiert und nach Freigabe durch den Auftraggeber Amprion dem Datenaustauschsystem zugeführt. Dieser Vorgang des Datenaustausches war nicht immer frei von Problemen, insbesondere vor dem Hintergrund eines Hackerangriffs auf die LF-Gruppe. Es konnten aber alle Planunterlagen und Dokumente innerhalb der vereinbarten Zeit bereitgestellt werden. Das Ausführungskonzept wurde dann gemeinsam mit der Amprion im Juni 2022 den zuständigen Genehmigungsbehörden präsentiert. Diesem Termin folgte zeitnah die behördliche Freigabe der beauftragten Arbeiten: der Errichtung der Kabelschutz-rohranlagen.
Parallel dazu wurden in den einzelnen Fachabteilungen die entsprechenden auszuführenden Arbeiten vorbereitet. Ein Detail-Engineering fand insbesondere im Rohr- und Wasserbau sowie im Bereich HDD statt.
Im Wesentlichen zielte dieses Engineering auf Prozessoptimierungen ab, mit dem Ziel, möglichst viele Einflüsse auf die Umwelt und die Anlieger im Baustellenbereich zu minimieren. Verschiedene Ansätze für Schweißlösungen, Schallschutzmaßnahmen, Transportlösungen aller Art und eine Weiterentwicklung von Bohrverfahren wurden entwickelt.
Mit den Frühjahrsstürmen ging bekanntermaßen an der Nordküste der Insel Norderney eine erhebliche Oberflächenerosion einher. Daraus resultierte dann im Juli die Erkenntnis, dass der Nordstrand im Bereich der Austrittspunkte der Bohrungen eine signifikant geänderte Höhenlage hatte. Dieses Wissen wurde mit der Amprion geteilt, und es wurde gemeinsam ein Konzept zu der Reduzierung entsprechender Hochwasserrisiken erarbeitet.
Vor dem Hintergrund, dass für diese Maßnahme mit 2 Großbohranlagen (Zugkraft ≥ 250 to) gleichzeitig gearbeitet werden sollte, um das enge Zeitfenster besser zu beherrschen, musste eine umfangreiche Detailplanung für alle Phasen der Horizontalbohrungen durchgeführt werden. Dass dabei signifikante Synergieeffekte erzielt werden können, lässt sich rückblickend nicht bestätigen. Wie dem auch sei, die Zeit zur Arbeitsvorbereitung wurde effektiv genutzt. Als Herausforderung stellten sich dabei weltweite Lieferengpässe heraus, die als Resultat aus der COVID-19 Pandemie und dem Ukraine-Konflikt entstanden sind. Mit einigem Improvisationsvermögen konnten aber diese Herausforderungen gelöst werden.
Rückblickend hat sich die lange Arbeitsvorbereitung ausgezahlt.
Aufbau:
Zunächst wurde ein Logistikstützpunkt im Hafen von Norddeich eingerichtet.
Dem folgte die Einrichtung eines Schweißplatzes am südwestlichen Ende der Insel Norderney. Damit einher ging die Lieferung von 4400 lfm Schutzrohr, das dort in mehreren Teilsträngen verschweißt wurde.
Ab Mitte Juli 2022 konnte der Aufbau auf der Baustelle beginnen. Ein Containercamp wurde zur Baustelle mobilisiert, dem folgte der Aufbau einer umfassenden Schallschutzanlage und der Bau der Widerlager der Bohranlagen. Im Anschluss wurde die Bohrausrüstung zum Bohren der Bohrlöcher zur Aufnahme der Kabelschutzrohranlagen aufgebaut.
Ausführung:
Während der Bohrplatz eingerichtet wurde, begannen die Schweißarbeiten. Der Schweißplatz lag im Bereich einer von insbesondere Hundehaltern stark frequentierten Wiese. Eine umsichtige Schulung und Sensibilisierung der dort tätigen Mitarbeiter und eine umfassende Risikoanalyse, die gemeinsam mit Amprion und der Stadt Norderney durchgeführt wurde, erlaubten ein Arbeiten ohne Gefährdungen und Beeinträchtigungen Dritter. Die durchweg positive Resonanz und das große Interesse an den Bauarbeiten überraschten selbst die lokale Bauleitung.
Mehrere Rohrstränge wurden unter Einhaltung aller DVGW-Regeln in kürzester Zeit vorgefertigt. Diese wurden dann innerhalb einiger, weniger Tage, zum Nordstrand, mit einem Schiff in den Bereich der Strandbaustelle (= der Austrittspunkte der Bohrungen) geschleppt, mit Hilfe vorhandener technischer Hilfsmittel auf den Strand gezogen und dort bis zum Rohreinzug zwischengelagert.
Während der Schleppvorgänge der Teilstränge liefen bereits die Bohrarbeiten, sodass die Rohre, just-in-time, mit der Fertigstellung des Bohrloches angekoppelt und eingezogen werden konnten.
Der Bohrprozess wurde kontinuierlich optimiert, sodass es gelang, die Bohrarbeiten zunehmend zu beschleunigen und dabei eine immerzu bessere Bohrlochqualität zu erzielen. Dabei kamen neuartige, von LMR entwickelte Bohrwerkzeuge und Bohrverfahren zum Einsatz.
Alle Bohrungen wurden punkt- und lagegenau zur großen Zufriedenheit der Amprion ausgeführt. Ein mehrfaches Abbohren der Bohrlinie zur Kurskorrektur war zu keinem Zeitpunkt erforderlich. Eine große Hilfe dabei war die angepasste Bohrlinienplanung des HDD-Unternehmers und der Einsatz eigener, sehr erfahrener Bohrgeräteführer. Die große Angst, dass Ausbläser im Bereich der hochsensiblen Dünen oder unzulässige Ungenauigkeiten beim Bohren eintreten, konnte mit Hilfe der neuartig konstruierten Bohrwerkzeuge und Bohrverfahren eliminiert werden.
Zur großen Zufriedenheit aller an diesem Projekt beteiligten Parteien gelang es somit, die Bohrarbeiten innerhalb der geplanten Zeit abzuschließen und in dieser Hinsicht den Minimierungsansatz für Eingriffe im Nationalpark Wattenmeer ganz wesentlich umzusetzen.
Dabei hat der Teamgeist zwischen den Schwesterfirmen und den Bohrmannschaften ganz erheblich zum Gelingen der Maßnahme beigetragen. Außerdem hat die offene und ehrliche Kommunikation mit Behörden und Anliegern und einem gesteigerten Verständnis für deren Anliegen das Gelingen der Maßnahme ermöglicht.
Abbau:
Mit dem Abschluss der Schweißarbeiten wurde der Schweißplatz unverzüglich zurückgebaut.
Mit dem Abschluss der jeweils zweiten Bohrung der einzelnen Kabelschutzrohranlagen begann der Rückbau der Bohrbaustelle. Diese wird im Jahr 2023 für die Bohrungen ins Rückseitenwatt noch einmal genutzt. Der Vorsprung, der sich aus der Beschleunigung der Bohrarbeiten ergeben hatte, wurde auch beim Rückbau genutzt und konnte noch verbessert werden. Die Summe an Abtransporten war eine logistische Leistung. Hier zahlte sich erneut die verhältnismäßig lange Zeit aus, die die Amprion für die Arbeitsvorbereitung dem AN zugestanden hat.
Entsorgung/Abfuhr:
Bereits bei der Arbeitsvorbereitung wurde ein besonderer Fokus auf die Wiederverwertung anstatt Entsorgung von Bohrspülung und Bohrklein gesetzt. Dementsprechend wurden sogenannte High-End-Recyclinganlagen für die Fest-Flüssig-Abtrennung verwendet, um den erbohrten Boden von der Bohrspülung zu trennen.
Die Bohrspülung wurde so weit wie möglich wiederverwendet, was sowohl die Kosten als auch den ökologischen Footprint reduzierte.
In Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden wurden auch Möglichkeiten eruiert, den ökologischen Footprint mit Hinsicht auf den erbohrten Boden (Bohrklein) zu reduzieren und somit diesen einer weiteren Verwendung zuzuführen, anstatt, wie sonst üblich, das Bohrklein als Abfall zu entsorgen.
Beim Beginn der Bohrarbeiten von einem unabhängigen und akkreditierten Labor gezogene Proben ergaben keine unerwarteten Messwerte, sodass der Wiederverwendung des Bohrkleins nichts im Wege stand.
Die Abfuhr der Bohrspülung und der erbohrten Feststoffe ließ sich erfolgreich und vertragskonform umsetzen. Dabei gelang es, eine Reduzierung von Flächen und CO2-Emissionen zu erzielen, die mit der Abfuhr und Entsorgung verbunden sind.
Durch den schnellen Bohrfortschritt mussten dementsprechend große Mengen pro Tag abgefahren werden. Dieser Prozess wurde während der Maßnahme ständig optimiert, dies gelang sehr gut.
Baubegleitung:
Die Baumaßnahme wurde fachlich und sachlich durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Ökologen, Bodenkundlern und HDD Spezialisten begleitet. Der Umfang der Auflagen und die damit verbundene Dokumentationspflicht macht einen entsprechenden Stab an Aufsichtspersonal erforderlich. Wie vorstehend dargestellt, war der Umgang in der Arbeitsvorbereitung offen und ehrlich. Es fand ein offener Austausch an Wünschen und Ideen auf Augenhöhe statt. Die oftmals heikle Klippe „Erwartung“ konnte harmonisch bewältigt werden, indem von allen Beteiligten Aufgaben-, Zuständigkeiten, Kommunikationswege und Verantwortungen frühzeitig verinnerlicht wurden. Daraus ergab sich eine produktive Zusammenarbeit, sowohl auf, als auch außerhalb der Baustelle.
Fazit:
Die Arbeiten für die Kabelschutzrohranlagen in 2022 wurden zur vollsten Zufriedenheit der Amprion und der Genehmigungsbehörden durchgeführt. Eine intensive Arbeitsvorbereitung, der gute und offene Austausch mit der Amprion und den Genehmigungsbehörden und damit verbundene Verfahrens- und Prozess- Optimierungen waren der Schlüssel zum Erfolg, sodass es gelang die Arbeiten deutlich vor der Zeit abzuschließen und dabei den CO2-Abdruck dieser Maßnahme signifikant zu reduzieren.
In diesem Zusammenhang ein Zitat der Bauüberwachung HDD: „Wir gratulieren der Ludwig Freytag GmbH zur erfolgreichen Umsetzung der Arbeiten in diesem Jahr. Wir sind stolz, als Teil eines großen Projektteams, ein kleines Stück zum Erfolg beigetragen zu haben. Die Moll-PRD begleitet den Norderney-Korridor seit 2007. Es ist bemerkenswert, dass auch nach 15 Jahren Erfahrung in der Örtlichkeit durch innovative Ideen noch derartige Optimierungen im Ablauf erzielt wurden.“
Wir freuen uns darauf, das Bauprojekt im nächsten Sommer fortzusetzen 😉.
Punch out
Bild zur Verfügung gestellt von Firma Ney360° (Fotograf: Martin Pohl)
Einzug mit Verdämmergestänge
Wieder ein Rohr erfolgreich eingezogen
Überblick Baustelle Rigsite
Überblick Baustelle Pipesite
Ready to go!